Fragebogen von Hans Fässler

Hans Fässler in No kisses. No hugs... / 01. March 2021
Fragebogen von Hans Fässler
1. No kisses. No hugs.
Which is SO SAD! But the privileged life of an old white retired man in a spacious flat with a large garden is OK.
 
2. Was hilft dir, wenn dir Corona und alles drumherum über den Kopf zu wachsen droht?
Bisher ist es mir nicht über den Kopf gewachsen. Liegt das an Corona oder an meinem Kopf? Am jahrzehntelangen Training, das ich als linker Aktivist im Umgang mit schlechten Nachrichten habe? Ich höre alle Nachrichten (die guten und die schlechten), lese Zeitungen, studiere Statistiken, schaue Erklär-Videos und will alles wissen und verstehen – von Ischgl bis Manaus und vom Robert-Koch-Institut bis Stricker TV.
 
3. Ein Wort/einen Satz, das/den du nicht mehr hören kannst?
«Wegen diesem harmlosen Pfnüsel ohne irgendeine Übersterblichkeit errichtet der Bundesrat eine Corona-Diktatur und nimmt uns einfach unsere verfassungsmässig garantierten Freiheiten weg!»
    
4. Ein Wort/einen Satz, das/den du gern wieder einmal hören würdest?
«Also, dann treffen wir uns um 15.25 Uhr am Bahnhof Bern, Ausgang Heiliggeistkirche, und gehen dann in ein Café in der Nähe, wo dann auch noch Leonie und Salim dazukommen, und nach der Sitzung wegen der Petition und dem Vorstoss im Parlament können wir ja noch zusammen etwas essen gehen.» 
 
5. Liest du was? Während der ersten Welle, die ich noch nicht so ernst genommen habe, las ich Die Pest von Camus. Jetzt, in der zweiten Welle, lese ich viel journalistisches Kurzfutter und dazu Hannah Arendts Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Ich gebe mir Mühe, es zu verstehen und ihren eurozentrischen Blick auf «die ganz geschichts- und tatenlosen Menschen» in Afrika zu verdauen. Sollte eine dritte Welle kommen, suche ich mir etwas Lustiges, aus der Neuen Frankfurter Schule.
 
6. Hast du deine Wohnungseinrichtung verändert?
Nein, wieso sollte ich?
 
7. Hast du einen dringenden Wunsch für die Zeit nach der Pandemie?
Sehr frei nach Giuseppe Tomaso di Lampedusa: Es muss sich vieles ändern, damit nicht fast alles so bleibt, wie es ist.
 
8. Hast du während Corona eine neue Fertigkeit erworben?
Ja, ich habe gelernt, einfache Melodien auf dem Schwyzerörgeli zu spielen. Das Instrument gehörte meiner Schwiegermutter, die letzten Oktober mit 92 im Altersheim an Corona gestorben ist. Sie ging immer gern im Winter nach Arosa, und ich habe es knapp hingekriegt, an ihrer Beerdigung «Alles fahrt Ski» von Hans Rölli zu spielen. Der war eine Zeitlang Bauer in Wildhaus und 1920 bis 1930 Kurdirektor in Arosa. Das Spiel mit dem Örgeli (eigentlich ein Berner Örgeli) ist auch eine gute Übung zum Abbau von Vorurteilen gegen national-konservative Musikkulturen.

 9. Was wird nach Corona anders sein?
Ich kann dann meinen kleinen Enkel endlich unbeschwert in die Arme nehmen.
 
10. Schreibst du was?
Letzten Herbst habe ich eine leicht satirische Biografie von Simon Ammann geschrieben: «Nicht ohne meinen Carbonschuh. Eine Toggenburger Passion». Die Herausgabe des Buches im Ammann-Verlag hat sich wegen Corona verzögert, und falls dem «voll geilen Harry Potter der Lüfte» diesen Winter noch etwas gelingt, muss ich den Text noch ergänzen oder umschreiben. Daneben arbeite ich an einem Aufsatz über den St.Galler Johann Joachim Stähelin (1760–1815), der in Abentheuerliche, doch wahrhafte Schicksale zu Wasser und zu Land erzählt, wie er als Soldat im Dienst der holländischen Ostindien-Kompagnie ans Kaap de Goede Hoop reist und weiter nach Java, wo er Aufseher über 300 Sklavinnen und Sklaven wird.
 
 

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