Ein überzeugendes Buch – was nun?

Julia Küng in Service-public-Revolution / 26. August 2020 / 0 Kommentare
Ein überzeugendes Buch – was nun?
Für jeden Dollar, der zur Unterstützung in die Entwicklungsländer des globalen Südens fliesst, fliessen zwei in Form von Unternehmensgewinnen, legalen und illegalen Finanzflüssen an die wohlhabenden Industrienationen zurück! (26f.) Mit so erschreckenden Fakten und Statistiken beschreibt der erste Teil der »Service-public-Revolution« die Missstände unserer gnadenlos ungerechten Welt. Darauf schlagen Ringger und Wermuth erfrischend konkrete Lösungsansätze zur Umgestaltung unserer Gesellschaft vor und fordern das einzig Logische: Endlich das Wohl von Mensch und Umwelt über Profite zu stellen. Endlich die Bedürfnisse des Menschen und nicht die des Marktes zu priorisieren Auch wenn diese und andere Gedankengänge für mich persönlich nicht neu sind, ist es sehr wertvoll, alles in einen Gesamtkontext eingeordnet und in einem Buch zusammengefasst zu haben. Es lässt das Buch zu einem Werkzeugkasten für alle jene werden, die für eine bessere Welt kämpfen. 

Dieser Werkzeugkasten ist ein starker Startpunkt zur Beantwortung der Krisen unserer Zeit. Startpunkt, weil nach einer soliden Problemanalyse und überzeugenden Lösungsansätzen noch viel offen bleibt: Wie genau sollen diese Lösungen nun Realität werden? Wie schaffen wir es, dass das fortschrittliche Buurtzorg-Modell in der Pflege zum Alltag wird und Klimabanken bald eine Selbstverständlichkeit werden? Das Buch stellt nicht den Anspruch, diese Fragen zu beantworten, und ich habe es mir von seiner Lektüre auch nicht erhofft. Dennoch ist es aus meine Sicht absolut zentral, darüber zu reden, wie wir Visionen, wie die »Service-public-Revolution« konkret umsetzen. Denn die besten Reflektionen, Texte und Ideen lösen keine Krisen, solange sie nicht in Tat umgesetzt werden! 

Die Revolution nach Lehrbuch mit riesigen Menschenmengen, viel Chaos und Gewalt sind meiner Meinung nach überholte Theorie und gehören ins letzte Jahrhundert. Was aber ist die Alternative dazu? Mir fällt einzig ein schrittweiser Wandel auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig ein. Ein Zusammenspiel zwischen Parlamenten, Initiativen und Referenden, auf Gemeinde-, Kantons- und Landesebene, befeuert vom Druck der Bewegungen auf den Strassen, gepaart mit Unternehmen und NGOs, die im bestehenden System versuchen, Teile der Vision umzusetzen. So wie wir linke Kräfte, wenn auch ohne grosse Vision oder Koordination, es seit Jahren versuchen. Fürs Klima beispielsweise kämpft die globale Bewegung »Fridays For Future« auf der Strasse, internationale Organisationen wie Greenpeace, zahlreiche Parteien in der institutionellen Politik und viele Läden und Firmen, die versuchen ökologisch zu handeln –  dennoch rasen wir direkt auf den Abgrund zu. Der schrittweise Wandel war bisher, wie das Ringger und Wermuth schön illustrieren, leider nicht besonders erfolgreich. Aber wenn wir weiterkämpfen, uns besser organisieren, könnte dieser Wandel vielleicht irgendwann zum Ziel führen. Aber »vielleicht« und »irgendwann« reichen angesichts der Schwere und Dringlichkeit der Krisen unserer Zeit einfach nicht. Wir brauchen mehr. Kurzum: Ich finde beide nicht, weder die theoriekonforme sofortige Revolution noch den schrittweisen Wandel, vielversprechend. Ich habe aber auch keinen genauen Plan, wie wir die Umsetzung der Revolution sonst angehen könnten. 

Ich weiss nur, dass dieser Plan viel Solidarität beinhalten muss und wir Kämpfe verbinden müssen. Dieser Aufruf ist genauso wenig neu, wie die Erkenntnis des Versagens des Kapitalismus. Trotzdem praktizieren wir ihn nicht vollumfassend genug: Es reicht nicht, einfach alle Kämpfe für eine bessere Welt ideell zu unterstützen. Wir müssen endlich echte Solidarität unter allen linken Kräften zeigen, endlich wirklich alle gemeinsam an einem Strick ziehen. Wir haben keine Zeit und Energie für Machtkämpfe und Einzelgänge, wir müssen uns gegenseitig unterstützen. Wir brauchen keine Held*innen, sondern eine gerettete Welt. Denn wenn wir das nicht tun, dann passen wir uns genau dem kapitalistischen Konkurrenzsystem an, das wir nicht wollen. Deswegen werden wir immer scheitern.

Weiter braucht es Gefässe, in denen wir den Aufbau einer neuen solidarischen, gerechten und ökologischen Gesellschaft planen können. Und nein, unsere bereits bestehende institutionelle Politik reicht dafür nicht. In ihr sind wir so beschäftigt mit dauernden Abstimmungen, Vorstössen und Wahlen – da gibt es wenig Platz für eine echte Diskussionskultur oder gesamtheitliche Visionen. Wir brauchen Town Hall Meetings, People Assemblies, Gemeinschaften, die zusammenkommen, diskutieren, einander helfen, sich organisieren und Visionen schaffen und umsetzen – wie zum Beispiel auf dieser Plattform. 

Ich wünsche mir, dass wir hier gemeinsam über die Lösungsansätze und Probleme dieser Welt sprechen – aber uns vor allem auch ganz konkret darüber austauschen, wie wir die Revolution ins Rollen bringen, denn die Krisen warten nicht! 

Julia Küng, Co-Präsidentin Junge Grüne Schweiz

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