Trauen wir uns (mehr)!

Ronja Jansen in Service-public-Revolution / 26. August 2020 / 0 Kommentare
Trauen wir uns (mehr)!
Ein ausgebauter Service public, der den Konzernen die Stirn bieten kann und die Profitlogik in die Schranken weist. Nichts Geringeres fordern Cédric Wermuth und Beat Ringger in ihrem neusten Werk Die Service-public-Revolution. Ausgehend davon streben die Autoren einen Paradigmenwechsel an, welcher uns aus dem Sog der Kapitalverwertungslogik befreit und das Gemeinwohl aller Menschen ins Zentrum stellt. Zur Finanzierung sollen insbesondere die Reichsten und die Unternehmen zur Kasse gebeten werden. 
Um ihre Forderungen zu untermauern, zeigen Wermuth und Ringger eindrücklich auf, wie der Neoliberalismus die öffentlichen Dienste in den letzten Jahrzehnten ausgeblutet hat und zu einer massiven Konzentration des Reichtums in den Händen einer kleinen Elite geführt hat. Die Corona-Krise hat die tödlichen Folgen der neoliberalen Profitlogik schonungslos aufgezeigt und der Bevölkerung den zentralen Stellenwert des Service public in Erinnerung gerufen. Hier setzt das Buch mit mittelfristigen Forderungen an, welche einen konkreten Ausbau der öffentlichen Dienste skizzieren. 
Auf dem Weg zur versprochenen Revolution bleiben die Autoren allerdings auf halber Strecke stehen, und die Strategie für einen umfassenden Wandel der Gesellschaft bleibt lückenhaft. 

 Selbst wenn die postulierte Service-public-Revolution gelingen sollte, bleibt unklar, inwiefern sich die Ausgangslage von jener in der Nachkriegszeit unterscheidet. Wie kann verhindert werden, dass das Kapital zurückschlägt, wenn wir den Besitzenden weiterhin zugestehen, enorme Macht in ihren Konzernen auszuüben? 
Ein Zurückdrängen der Kapitalverwertungslogik und mehr Regulierungen für Grossunternehmen reichen nicht aus. Unser Anspruch muss die komplette Abschaffung des Privateigentums an allen Produktionsmitteln sein. Die Einlösung dieser Forderung ist die Demokratisierung aller Lebensbereiche. 
 Obwohl die Ausweitung des Service public eine Vergrösserung der Demokratischen Sphäre bedeutet, dürfen wir uns dabei nicht nur auf die Rückeroberung einiger Wirtschaftsbereiche beschränken. Egal wie weit wir die Konzerne zurückdrängen, die Demokratie darf trotzdem niemals vor ihren Toren halt machen. 
 
 Sowohl in Bezug auf die Ausweitung des Service public als auch in Hinblick auf die Demokratisierung der gesamten Gesellschaft muss zudem sichergestellt werden, dass demokratische Strukturen nicht nur theoretische Gestaltungsmöglichkeiten bieten, sondern auch reale Mitbestimmung. 
 Dazu braucht es mehr Zeit für politische Arbeit für alle Menschen. Damit die Ausweitung des Service public sich auch in realer Mitbestimmung niederschlägt, braucht es eine massive Verkürzung der Arbeitszeit, welche allen Menschen die nötige Zeit für politische Arbeit, Lohnarbeit und unbezahlte Care-Arbeit bietet. Im Gleichschritt müssen auch die demokratischen Strukturen ausgebaut werden, so dass alle Menschen bei den Entscheidungen, die sie betreffen, mitbestimmen können. 
 
 Zudem muss die Service-public-Revolution zwingend durch weitere Projekte der Emanzipation und Ermächtigung begleitet werden.  
Der Neoliberalismus konnte nur anrichten, was er angerichtet hat, weil er die Möglichkeit des kollektiven politischen Handelns in Abrede stellt und den Menschen über Jahrzehnte eingebläut hat, sie seien alle Einzelkämpfer*innen, welche sich mit Mistrauen begegnen sollten.  
 
Die Individualisierung und der jahrzehntelange Durchmarsch des Neoliberalismus hat vielen Menschen die Hoffnung auf Veränderung geraubt. Insbesondere darauf, dass der umkämpfte gesellschaftliche Kuchen für alle reichen kann: Für Frauen, Migrant*innen und prekarisierte Arbeiter*innen. 
 Für fortwirkende progressive Veränderungen müssen wir nicht nur für mehr öffentliche Leistungen kämpfen, sondern auch gegen die selbsterfüllende Prophezeiung der Machtlosigkeit und Hoffnungslosigkeit. 
 Eine Stärkung des Service public bietet den Menschen zwar einen Zuwachs an persönlicher Sicherheit und Freiheit und ist damit auch eine Grundbedingung, damit Menschen überhaupt für ein besseres Leben kämpfen können, doch der entscheidende Punkt, damit Veränderungen tatsächlich erkämpft werden, ist die Hoffnung auf ebendiese und das Bewusstsein für die potentielle Macht, welche die 99% gemeinsam mobilisieren können. 
 
 Die Corona-Krise bietet die Möglichkeit auf positive politische Veränderungen, weil sie schonungslos aufgezeigt hat, was passiert, wenn wir unsere Grundsicherung der Profitlogik der Konzerne überlassen. Daran müssen wir mit mittelfristigen Forderungen anknüpfen, wie dies auch im Rahmen der Service-public-Revolution gemacht wird. 
 Doch das Veränderungspotential liegt nicht alleine im Diskurs um die Schwächen des herrschenden Systems. Veränderungen scheinen heute auch greifbar, weil vieles, was vor einem Jahr selbstverständlich schien, über Nacht auf den Kopf gestellt wurde. In den letzten Monaten formierten sich unzählige solidarische Gruppen und Menschen, die sonst nur wenig miteinander gemeinsam hatten, und organisierten sich gemeinsam. 
Diese Bewegungen und Kollektive sind kraftvoll – und das sind sie jetzt. Wir können nicht nur auf die Wahlen 2023 warten, um dann ihr Mobilisierungspotential für unsere Wahlerfolge zu nutzen. Es braucht dezentrale Möglichkeiten zum Engagement und zur Erfüllung des Drangs nach Veränderung. Eine Veränderung in den Köpfen der Menschen, die die Möglichkeit für materielle überhaupt erst erschafft. Genau deswegen müssen wir uns mehr trauen. Mehr trauen zu fordern. Mehr trauen zu träumen. Mehr trauen, Visionen zu entwickeln. Denn diese Visionen sind es, die die Basis bilden. Die Basis von Engagement und von Veränderung.

Ronja Jansen, Präsidentin der JUSO Schweiz
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