Der Quarantäne-Rückblick mit Patti Basler

Patti Basler in VierzigTageBuch / 26. April 2020
Der Quarantäne-Rückblick mit Patti Basler

Prolog
Freitag, der 13.3
Alain Berset überlegt sich, als welcher Gesundheitsminister 
 er in die Geschichte eingehen will:
– Derjenige, welcher eine Epidemie in den Griff kriegte.
– Derjenige, welcher das AHV-Problem auf einen Schlag löste.

Tag 1
HÄNDESCHÜTTELN ist zu unterlassen. 
Andere übliche Begrüßungsformen in der Schweiz 
 sind weiterhin erlaubt und unbedenklich.
– Schuhabklatscher
– Bekreuzigung
– Hitlergruß

Tag 2
Ökonom Reiner Eichenberger will die Schweiz 
 »kontrollliert durchseuchen«
Reiner Frühling im Eichenhain

Die Luft durch Eichen-Kronen haucht,
An Eicheln nagt, was kreucht und fleucht,
Der Eichen Grund vom Bär durchlaucht,
Des Eichen-Bergers Haupt durchseucht

Tag 3
Zu Viren in Quarantäne-Räumen:
»Ihr dürft nicht rein. Wir waschen unsere Hände,
wie’s der Bundesrat erzählt.«
Zu Menschen an Europa-Grenzzäunen:
»Ihr dürft nicht rein. Wir waschen unsere Hände
in Unschuld. Und in Neutralität.«

Tag 4
Krisen können das Schlechteste in den Menschen hervorrufen. Oder das Beste. Nora Zukker hilft Zürcher Senioren beim ­Einkaufen. Hazel Brugger bietet an, Kinder zu hüten. 
 Ich versuche, nicht zu weinen vor Rührung. Jede, was sie kann.

Tag 5
Boris Johnson: »Wir schließen die Schulen nicht. Die Wissenschaft sagt, Schulen schließen könnte dem Land im Moment mehr schaden als nützen.«
Wo die Wissenschaft recht hat, hat sie recht.

Tag 6
The Coroner
by
Tent in Quarantino

Tag 7
Schweiz:
Wurst-Käs-Pundemie

Tag 8
Mer chönd ned all in Spital goh, 
Machs dehei
Drum löhnd de Shit do viral goh, 
Machs dehei
drum söttsch din Schnidel im Stall loh, 
Machs dehei
Mach’s eifach dehei
Chasch di mit Fröid go besaufe, 
Machs dehei
Statt de RollsRoys loh laufe, 
Machs dehei
Statt en Toyboy go chaufe, 
Machs elei
Machs eifach elei
Chasch telefonisch go quatsche, 
Machs dehei
Chasch ihn platonisch betatsche, 
Machs dehei
Und hesch es chronisches Hatschi, 
Machs dehei
Machs eifach dehei

Tag 9
Es geht drum, gesamtschweizerisch das zu machen,
was bei mir nie gelingt: die Kurve verflachen.

Tag 10
Die Corona-Krise ist eine riesige Chance für Väter, auch mal zu lernen,
Homeoffice und Kinderbetreuung unter einen Hut zu kriegen.

Tag 11
Die Auswahl für suizidale Senioren wird größer:
Exit
Dignitas
Wandergruppe

Tag 12
Wenn du Film guckst und Szene in einer Bar und ganze Gruppen stehen eng beieinander und du denkst: OMG, wie obszön!

Tag 13
Gelesen:
»Wisst ihr noch, als wir darüber diskutierten,
ob 4 Wochen Vaterschaftsurlaub
möglich seien?«

Tag 14
Homeschooling:
Der Moment, in dem vielen Eltern klar wird,
weshalb Lehrkräfte 12 Wochen Ferien brauchen.

Tag 15
Viele Kulturschaffende
Lebten schon vor der Krise
Von der Hand in den Mund
Jetzt ist selbst das verboten


Tag 16
Betreuerin. Spitaldienst: Systemrelevant
Verkäuferin im Aldi: Systemrelevant
Bäuerin im Stall drin: Systemrelevant

Polizei: Systemrelevant!

Die Pflegerin im Hospiz: Systemrelevant
Brief-Trägerin im Post-Dienst: Systemrelevant
Netzwerk-IT-Hosting: Systemrelevant

Und der Chauffeur: Systemrelevant!

Putz-Fachmann mit Staubschicht: Systemrelevant
Und Ambulanz mit Blaulicht: Systemrelevant
Schutzmann macht den Raum dicht: Systemrelevant

Bundesrat: Systemrelevant!

Lebensmittel-Großmarkt: Systemrelevant
Elternliebe, so stark: Systemrelevant
Rüssel, dick und Stoßzahn: System »Elefant«

Kabarett: Systemrelevant!

Tag 17
Toilettenpapier – 
Der große Rollenkonflikt der Quarantäne

Tag 18
Jassgruppe geht auch nicht mehr.
Heute bist du schon froh,
wenn du auf dem WC ein Dreiblatt weisen kannst.

Tag 19
Wahrscheinlich die einzige Corona,
die Prince Charles
jemals kriegen wird.

Tag 20
Sofa-Lesungen:
Das Dschungelcamp für Kulturschaffende.

Tag 21
Ich hätte bis heute nicht geglaubt, wie sehr ich mich auf den ­Moment freue, wenn die Fußballer endlich wieder tschutten dürfen.
Imagine there’s no singing!

Tag 22
Ein kleines Mädchen brachte uns dazu, 
 auf die Wissenschaft 
 zu hören.
Ein noch kleineres Virus bringt uns dazu, 
 ihr zu folgen.

Tag 23
Merkst du, das zwischen uns wächst einfach viel zu schnell
Merkst du, das zwischen uns wächst exponentiell
Wenn unsere Finger sich ergreifen
Sich unsere Lippen flüchtig streifen
Dann springt ein Funke, der das Dunkel nicht erhellt

Lass es uns biegen, und vielleicht als einen Keil sehen
Die Kurve kriegen wir nur, wenn wir jetzt nicht steil gehen
Das Tunnelende naht noch nicht,
Da vorne sehen wir noch kein Licht
Und auch der Tunnel bleibt in Zukunft nur zum Teil stehen

Komm, lass uns einander nicht berühren
Sonst könnte eins zum andern führen
Auf dass es ausgesessen wird
Allein im Zimmer
Bevor es besser wird, wird’s schlimmer

Komm, lass uns einander nicht berühren
Sonst könnte eins zum andern führen
Noch ist das Ende nicht in Sicht
Da ist kein Schimmer
Bevor es besser wird, wird’s schlimmer

Du darfst das nicht mehr nähren, erklärt mir der Verstand
Auch wenn es schwerfällt, ich nehm dich nicht bei der Hand
lass uns statt zum Tanz gehen
Ein bisschen auf Distanz gehen
Ich weiß, nur so stütz ich dein System relevant

Vielleicht geht’s irgendwann, doch geht’s nicht jetzt
Sonst wird um uns herum noch irgendwer verletzt
Sehen wir offen die Gefahren
Statt zu hoffen und zu harren
Sonst haben wir uns die Narren-Krone aufgesetzt

Komm, lass uns einander nicht berühren
Sonst könnte eins zum andern führen
Auf dass es ausgesessen wird
Allein im Zimmer
Bevor es besser wird, wird’s schlimmer


Komm, lass uns einander nicht berühren
Sonst könnte eins zum andern führen
Der Schmerz bleibt nicht für immer da
Irgendwann ist er vergessen
Nachdem es schlimmer war, wird’s besser

Tag 24
Berset
Alain zu Haus

Tag 25
Und nein,
mit häuslicher Gewalt
meinen wir nicht die Tür,
die Daniel Koch eins verpasst hat.

Tag 26
Es hieß einmal, die unsichtbare Hand des Marktes würde alles regeln. Wenn es genügend Nachfrage gäbe, steige das Angebot von selbst!
Und nun schafft sie nicht einmal das mit den WC-Rollen!
Sie kann uns getrost den Hintern wischen. 

Tag 27
Übere Gotthard, übere Gotthard flüged Viire,
Ja flüged Viire, die cheibe Viire,
Drum söttsch über Oschtre halt deheime fiire,
E non uscire in Ticino.

Tag 28
Dein innerer Sauhund will ausbrechen und nicht mehr daheim bleiben?
Alain Berset hat die Lösung.
Er legt sich selbst an die Kette.
Alain ist cool.
Sei wie Alain.

Tag 29
Ja, es sind humanitäre Dramen an den Grenzzäunen, verzweifelte Gesichter am Gartenhag zwischen Dietikon und Spreitenbach. Denn die ZürcherInnen dürfen nicht nach draußen, nicht in den Aargau, ins Shoppi, in die Ikea, die Limmat runter, nicht mal ihre Eltern besuchen in Oberwil-Lieli. Sie sind in ihrem zwinglianischen Kanton zwangsinterniert.
In diesen harten Zeiten denken wir an alle. Auch an die Zürcher.
Und vergesst nicht:
#Syrienbleibtdaheim
Oder war’s umgekehrt?
Natürlich war’s umgekehrt!
Wie willst du zu Hause bleiben ohne Haus? 2 Meter Abstand wahren in einem 2-Meter-Zelt? Hände waschen, wenn du nicht mal Trinkwasser hast?

Drum: Hilf mit, eine Lösung zu suchen für diejenigen, die keine geheizte Wohnung haben. Mit Essen. Und WC-Rollen.
Denn alle Menschen haben dasselbe Recht, geschützt zu werden.
Sogar die Zürcher.


Tag 30
Falls Boris noch zu geschwächt ist, 
 soll die May wieder übernehmen:
Where There is a Will
There is a Way
Where There is an April
Ther-es-a May

Tag 31
Jedes Jahr nach Ostern
Mein Requiem für eine berühmte Legehenne:

EINE
EIER LEGENDE 
EIER-LEGENDE
KOMMT ZU IHREM
EIER-LEG-ENDE
ENDE:

Tag 32
Raiffeisen-Situation heißt auf chinesisch:
Win-Win-Zenz

Die Chinesen gaben uns das Corona
wir geben ihnene GC

Tag 33
Kontrollierte Durchseuchung hinter schwedischen ­Altersheimgardinen.
Das neue
[Ctrl] [Alt] [Del]

Tag 34
Woran du merkst, dass du Schweizerin bist:
Dein innerer Sauhund ist ein Sparschwein.

Tag 35
Liebe Lockerungs-Turbos von rechts bis links
Es scheint schon schaurig schade, dass wir diese Kurve schneller flach brachten als ich irgendeine Kurve an meinem Körper.
Dieses Virus raffte ja gar nicht so viele Leute dahin. Es ist fast, als ob die Maßnahmen gegriffen hätten. Nix mit schneller AHV-­Sanierung, da hätte der liebe Alain doch besser vorsorgen ­können. Kontrollierte Durchseuchung wie in Schweden, 
 [Ctrl] [Alt] [Del], kontrolliert die Alten auslöschen, System neu aufsetzen, Hauptsache, Ems und NZZ können Gewinn aus­schütten.
Lassen wir einige an Covid enden,
wir wollen unsere Dividenden.
Glaubt mir, auch ich würde fast alles drum geben, wieder ­auftreten zu können. Ich würde fast alles geben.
Außer Menschenleben.

Tag 36
Helden meines Lebens:
Senderos, Sommaruga, Berset, Koch

Tag 37
Schweiz:
Das Land, in dem wir die Kurve schneller flachlegen
als die Bachelorette einen ihrer Toyboys. 
Um danach genau so leichtfertig wieder steil zu gehen.

Tag 38
Was der Bundesrat nicht sagt:
»Liebe Bevölkerung, wir halten euch für zu dumm, mit einer generellen Öffnung umzugehen, Regeln einzuhalten.«
Was er nicht sagt: 
»Wir haben zu wenig Masken, Material, Personal.«
Was der Bundesrat sagt: »Schtartöpps.«
Und ich fürchte, er hat recht.

Tag 39
Sozial distanziert
SVP nah

Sind das nun Synonyme oder Antonyme? Mein Kopf explodiert jetzt gleich.

Tag 40
Sommaruga: Pflegende sind systemrelevant.
Applaus reicht nicht. Es braucht mehr Lohn.
Ich hingegen, ich sehne mich nur nach dem Applaus.

Epi-(demio-)log, 26.4.

Der mächtigste Mann der Welt
empfiehlt Desinfektionsmittel
als Injektion gegen Viren.

Satire ist tot.

Patti Basler, Rieden, Schweiz
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