Vor wenigen Tagen überraschten mich etliche Bekannte mit der Bitte, ich solle aus meinem Stoffvorrat doch Schutzmasken für die Spitäler herstellen. Die Hobbynäherinnen schickten mir Fotos ihrer fertigen Produkte in den fröhlichsten Farben. Das fand ich fast ein wenig frivol.
Stellt sich heraus, dass das medizinische Fachpersonal die liebevoll gefältelten Handarbeiten tatsächlich haben will. Ihnen fehlt es nämlich an allem: Betten, Atmungsgeräten und eben auch an Schutzmasken, von denen es während der Corona-Krise in den USA schätzungsweise 3,5 Milliarden brauchen wird. Die Spitalangestellten sagen, mit jedem zusätzlichen Baumwollteil könnten sie ihre standardisierte Ausrüstung länger tragen.
Ich bewundere seit jeher die Kreativität und Einsatzbereitschaft meiner amerikanischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die auch in der aktuellen Krise viel Gutes bewirkt. Doch vorerst bleibe ich selber bei meinen Leisten als Journalistin. Ich versuche Information über die Besonderheiten der Corona-Pandemie in den USA zusammenzutragen und zu vermitteln. Das ist meine Aufgabe als USA-Korrespondentin. Das ist mein Beruf.
Aber natürlich sorge ich mich auch um meine erwachsenen Kinder und Enkelkinder. Sind alle noch gesund? Ist das neueste Schniefen bloß eine Erkältung, nicht mehr? Wie geht es für die Jungen wirtschaftlich weiter? Wie und wo wird das demnächst erwartete Baby zur Welt kommen? Wie findet sich die hundertjährige Tante in der Alterswohnung zurecht, jetzt, wo wir sie nicht mehr besuchen können?
Gestern hat das Center for Disease Control empfohlen, dass die ganze US-Bevölkerung in der Öffentlichkeit Stoffmasken trägt. Sogleich sagte Donald Trump, diese Maßnahme sei freiwillig. Er selber werde bestimmt kein Tuch vor den Mund nehmen. So geht das seit Wochen. Die Gesundheitsfachleute sagen hü und der Regierungschef sagt hott. Und das Ganze ist eine ziemlich verfuhrwerkte Sache.
Doch auch so bin ich auf den neuen CDC-Bescheid vorbereitet. Meine Stoffmaske ist parat, wenn ich morgen einkaufen gehe. Ich wählte dafür bewusst einen groß geblümten Stoff. So kann jeder auf den ersten Blick erkennen, dass dies nicht ein Gesichtsschutz ist, den ich einer Ärztin vorenthalten habe. Die amerikanische Resilienz hat bereits offenbar etwas abgefärbt, und ich bin bereit, für die Allgemeinheit zu tun, was ich kann. Das ist allerdings zugegebenermaßen nicht sehr viel.
Lotta Suter, Vermont, USA