Die Bombenexplosionen im Irak erschüttern auch den US-amerikanischen Alltag. Was kann eine Demokratie dem jahrelangen Ausnahmezustand entgegenhalten? Wie bleibt eine Gesellschaft im unendlichen Krieg zivil?
»Wenn wir den Kampf in den Straßen von Bagdad aufgeben, werden wir den Terroristen in New York und Washington gegenüberstehen«, warnt Präsident Bush das Volk seit Jahren. Doch immer mehr Amerikanerinnen und Amerikaner erkennen: Gerade das Gegenteil trifft zu. Der »Kampf gegen den Terrorismus« ist nicht nach Bagdad, Falludscha oder Samarra ausgelagert, sondern mitten in die eigene Gesellschaft hineingetragen worden. Der Aggressionskrieg im Nahen Osten hat die USA auch im Innern aggressiver und kriegerischer gemacht. Der Rechtlosigkeit im neuen Irak entspricht eine Zerrüttung des US-amerikanischen Rechtsstaates. Die Korruption beim Wiederaufbau reicht weit in die US-amerikanische Wirtschaft hinein. Und die Privatisierung dieses neuen Golfkrieges, in dem Söldner der boomenden Sicherheitsindustrie bereits zahlreicher sind als herkömmliche Soldaten, ermöglicht in den USA den Aufbau eines Katastrophenkapitalismus, der sich auf die Profitmaximierung in Kriegen und Krisen spezialisiert. Die fiebrige und propagandistische Irakberichterstattung schwächt die demokratische Öffentlichkeit an der Heimatfront. In diesem Ausnahmezustand braucht es nicht bloß Widerstand gegen den aktuellen Krieg, sondern auch eine Wiederbelebung der Idee des Friedens, den es so in den USA nicht mehr gibt.
Lotta Suter, geboren 1952, studierte Philosophie, Politologie und Publizistik in Zürich. Mitbegründerin und langjährige Redaktorin der Schweizer Wochenzeitung WOZ. 1997 wanderte sie mit ihren vier Kindern in die USA aus. Sie lebt in der Nähe von Boston und arbeitet als USA-Korrespondentin für verschiedene Medien.