Der entschleiernde Charakter der Coronakrise

Hans Schäppi in Service-public-Revolution / 11. November 2020 / 0 Kommentare
Der entschleiernde Charakter der Coronakrise
Ein wichtiges Merkmal der Coronakrise ist ihr entschleiender Charakter. Sie hat die gesellschaftliche Ungleichheit nicht geschaffen, sie verschärft sie aber zunehmend und macht sie unübersehbar. Der erste Teil des Buchs besteht so in einer Bestandesaufnahme der Situation nach Ausbruch der COVID-19-Pandemie. Das Buch gibt dazu eindrückliche Beispiele. Gerade in dieser Krise wurde offensichtlich, dass es lebenswichtige Arbeiten etwa im Gesundheitsbereich gibt, die völlig unterbezahlt sind, und andere, die in schwierigen Situationen oder gegen die Klimaerwärmung nichts beitragen, am höchsten honoriert werden. In der Zentralafrikanischen Republik mit ihren gut 5 Millionen EinwohnerInnen stehen ganze drei Beatmungsgeräte zur Verfügung. In Südeuropa zeigen sich die verheerenden Folgen der diesen Ländern vorab von Deutschland aufgezwungenen Austeritätspolitik. Südafrikanische Hausangestellte und US-Arbeitslose sind auf Grund einer fehlenden Krankenversicherung vom Lockdown und vom wirtschaftlichen Kollaps beinahe tödlicher bedroht als vom COVID-19-Virus. Und schliesslich zeigt die Coronakrise, dass der zunehmende Nationalismus und die nationalistischen Zampanos wie Trump und Bolsonaro in eine tödliche Irre führen. Die Corona- und Wirtschaftskrise ist für Beat Ringger und Cédric Wermuth so der Anlass, ihren Vorschlag für eine Politikwende und eine »Service Public-Revolution« einzubringen.
Im zweiten Teil des Buchs stellen die Autoren die Entwicklung bis zur Coronakrise dar: die strukturelle Überakkumulation seit den 1980er Jahren. Auch hat der Lockdown klar gezeigt, dass die Marxsche Werttheorie Gültigkeit hat trotz aller zahlreichen Widerlegungsversuchen von bürgerlichen Nationalökonomen. Wenn nicht mehr gearbeitet wird, gibt es auch keine »Wertschöpfung«. Der Warenfetischismus ist in der Coronakrise und im Lockdown als Ideologie entlarvt worden. Das Kapital oder das Geld sind noch vorhanden. Im Lockdown arbeiten sie aber nicht mehr für uns, wie das in einer Fernsehreklame der Basellandschaftlichen Kantonalbank dargestellt wird. Gut wird im Buch auch aufgezeigt, wie absurd die neoliberale Vorstellung ist, dass die Märkte immer recht haben. Da die Werte durch die Arbeit geschaffen werden, wäre es natürlich auch nichts als recht, wenn bei uns die Beschäftigten die Kontrolle der Produktion übernehmen würden.
Im dritten Teil des Buchs wird dann die »Service Public-Revolution« vorgestellt. Im Gegensatz zu den neoliberalen NZZ-Ideologen Eric Guyer und Gerhard Schwarz, welche nichts mehr fürchten als einen Ausbau des Service Public, betonen die Autoren dessen Krisenresistenz. So werden interessante Gegenmodelle zum neoliberalen Kapitalismus aufgezeigt. So etwa das Modell Buurtzorg in der niederländischen Stadt Almelo, eine Non-Profit-Organisation im Bereich der Pflege, Betreuung und Alltagsunterstützung, die persönlichen Gesundheitsstellen, das Modell der Klimabanken, die Klimaagenturen, die Klimawerkstätten und die nach der Bankenkrise 2007/08 im Denknetz entwickelte Idee der Finanzdienstleistungen als Service Public. Zur Finanzierung des ausgebauten Service Public präsentieren die Autoren auch die im Denknetz entwickelten Modelle der Umverteilung über Steuern, im Buch richtigerweise Rückverteilung genannt. Ebenso wichtig ist sodann eine Vermögensabgabe, wofür die Autoren verschiedene Beispiele und aktuelle Vorschläge haben.
Was ist nun aber eigentlich die »Service Public-Revolution«? Beendet oder beerbt werden sollen die PPPs, die Private Public Partnerships als fragwürdige Ersatzlösungen für öffentliche Projekte. Im Gegensatz dazu sollen bei der »Service Public Revolution« private Initiativen in öffentliche Projekte einbezogen werden, zum Beispiel in eine Stärkung und Erweiterung der Grundversorgung oder den öffentlichen Verkehr. Wichtig ist auch ein Ausbau der digitalen Infrastruktur, der Kindertagesstätten und der Seniorenbetreuung. Eine markante Kehrtwende ist insbesondere in der Gesundheitsversorgung nötig. Erwähnt werden aber auch eine Erweiterung des gemeinnützigen Wohnungsbaus und eine Verstärkung der öffentlichen Forschung. Fehlen darf auch nicht die Idee von Beat Ringger, die »Pharma fürs Volk«, bei der die Pharmaindustrie die Erforschung und Weiterentwicklung von Generika, die heute vernachlässigt werden, einem staatlichen Institut für einen Franken übergeben würde.
Der Begriff Revolution für die vorgeschlagenen Massnahmen ist übertrieben. Um eine Revolution handelt es sich nicht, sondern um gute sozialdemokratische und grüne Politik, die heute sehr gute Chancen hat, mit demokratischen Mitteln realisiert zu werden. Es handelt sich also, angesichts der Klimaerwärmung, der Wirtschaftskrise, der zunehmenden Arbeitslosigkeit um zwingende Reformen. Bei den Massnahmen völlig vergessen worden sind die Länder des Südens! Hier ist angesichts der Krise eine Streichung der Auslandsschulden oder eine Einschränkung des zerstörerischen Freihandels ebenfalls zwingend.
 
 
Hans Schäppi 
KOMMENTARE VERBERGEN

Noch keine Kommentare vorhanden.


KOMMENTAR SCHREIBEN

Ihre E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht. Vor der Veröffentlichung wird Ihr Kommentar von unserer Redaktion geprüft. Pflichtfelder sind mit einem * markiert.

Rotpunkt Newsletter Unser Newsletter hält Sie über das Geschehen rund um unsere Bücher und Autor:innen auf dem Laufenden.