Wir haben Hans-Peter Bärtschi im Rotpunktverlag zunächst als leidenschaftlichen Sammler kennengelernt. Das war um 2005, als er bei uns anfragte, ob wir bei seinem neuesten Projekt, einer umfassenden Bestandsaufnahme der Industriekulturgüter der Schweiz in einer nach Regionen gegliederten Buchreihe mitmachen würden. Wir waren eher skeptisch, zumal gleichzeitig ein Internetauftritt geplant war. Aber Hans-Peter überzeugte uns mit dem Argument, dass nur das Buch die nötigen historischen Einbettungen ermögliche und Industrie-Wege präsentieren könne, auf denen man zu Fuß oder mit dem Velo Industriegeschichte erleben könne. Zudem wussten wir, dass er in der Lage war, Geld aufzutreiben, um das Risiko zu minimieren.
Wir erlebten Hans-Peter in diesen ersten Sitzungen so, wie wir ihn dann in den folgenden Jahren immer erlebten: gradlinig, immer fähig, zuzuhören, abwägend und doch zielstrebig und lösungsorientiert. Er war auch gerne bereit, seiner Anerkennung Ausdruck zu verleihen, wenn er fand, dass die Arbeit gut gemacht war. In den Genuss seiner Anerkennung kam bei uns im Verlag vor allem Ulrike Groeger, damals eine der Herstellerinnen, die dann alle fünf Bände der Industriekultur layoutete und jedes Mal eine riesige Masse von Bildern und Bildchen, Texten und Textchen sinnvoll ordnen und zu einem großen Ganzen fügen musste, was sie jeweils mit Bravour schaffte. Dazu kam 2008 der Bahnwanderweg Lötschberg – Verkehrsgeschichte als Teil der Industriegeschichte.
Hans-Peter war natürlich 2005 bereits eine bekannte Persönlichkeit und galt als der beste Kenner der Industriegeschichte im Land. Sein 1998 erschienenes Buch Industriekultur im Kanton Zürich – vom Mittelalter bis heute galt bereits als Standardwerk. Das eigentliche Standardwerk erschien dann 2011 im Verlag hier + jetzt: Die industrielle Schweiz – vom 18. ins 21. Jahrhundert. Aufgebaut und ausverkauft. Er geißelte mit oft markigen Worten die Zerstörung der produktiven Industrie zugunsten der Finanzspekulation: »Eine Gesellschaft, die keine Güter produziert, hört früher oder später auf, zu existieren«, sagte er in einem Interview. Doch ihn interessierten nicht nur die großen Zusammenhänge, sondern wertvoll war ihm jedes Detail, von den Industriegebäuden, die er als gelernter Architekt bautechnisch und -geschichtlich einordnen konnte, bis zu den Maschinen und Maschinenteilen, von den Überresten einer alten Stampfmühle bis zur modernen Lokomotive. »Bärtschi ist ein Industrie-Erotiker. Er kennt jede Maschine, jeden Prozess, jeden Werkstoff«, schrieb work.
Hans-Peter Bärtschi hat nicht nur Bücher geschrieben. 1979 gründete er zusammen mit seiner Frau Sylvia Bärtschi-Baumann die Firma Arias Industriekultur, die seit 25 Jahren ihren Sitz im alten Lokomotivdepot mitten im Gleisareal des Bahnhofs Winterthur hat. Mit seinem Team hat er einen Reigen unterschiedlicher Tätigkeiten entfaltet und mit Bestandsaufnahmen, Gutachten, Erhaltungsprojekten, Publikationen, Ausstellungen, Vorträgen und Exkursionen in breiten Kreisen Interesse für eine entscheidende Epoche der Schweiz, den schwer erarbeiteten Aufstieg und den leichtfertigen Abbau der Industrie, geweckt. Dabei ging es ihm natürlich immer auch darum, dem Mythos der »Bauernnation« die Realität der Industrie- und Arbeiterschweiz entgegenzustellen. Eine der beachtenswertesten Leistungen war wohl, dass es ihm und seinem Team gelang, den Abbruch des gesamten Sulzerareals in Winterthur zugunsten einer spekulativen Neuüberbauung zu stoppen. So blieben etliche der industriehistorisch wertvollen Gebäude erhalten.
Mit solchen Aktionen und auch mit manchen, sagen wir mal, wenig diplomatischen Meinungsäußerungen machte er sich nicht überall beliebt. Das war auch nicht seine Absicht. Anderseits fand er Anerkennung in Form diverser Auszeichnungen und Preise, die er sofort in seine Firma investierte. So wurde er zum Beispiel 2008 mit dem Kulturpreis der Stadt Winterthur ausgezeichnet, 2014 mit dem Preis der Landis & Gyr Stiftung.
Von sich selber schrieb Hans-Peter: »Bärtschi lebt seit 1950 zwischen Zürich, Winterthur und der großen Welt.« In die große Welt hinaus zog es ihn schon in frühen Jugendjahren, als er anfing bei den Maoisten zu politisieren und alle Länder bereiste, die sich damals kommunistisch nannten. Er beschreibt diese Reisen ausführlich in dem 2008 erschienenen Buch Der Osten war rot. Ein merkwürdiges Buch. Eine Art Selbsterforschung, in der er der Frage nachgeht: »Wie war es möglich, in der Schweiz nach 1968 so lange in der extremsten linken Politsekte aktiv zu sein.« Irgendwie kam er nicht los von ihr, obschon er früh Zweifel an den dort als sakrosankt geltenden Dogmen hatte. Er schreibt diese autobiografischen Notizen in der Er-Form: »Er fühlte sich als Dissident sowohl in der Gesellschaft als auch in der Oppositionsbewegung.« Und als es ihm dann doch irgendwann gelingt, den Genossen adieu zu sagen, bilanziert er: »Er brach wieder auf ans Ende der Welt, aber im aufrechten Gang, ging weit, ging wieder zu weit, zahlte den Preis des Zweifelns, diesmal in Freiheit und Einsamkeit.«
Auch in diesem Buch, das so wenig zu tun zu haben scheint mit den Werken, die vor allem sein Lebenswerk ausmachen, erweist sich Hans-Peter als nachdenklicher Mensch, als eine eindrückliche Persönlichkeit, ausgestattet mit einem stets trockenen Humor, mit einem großen Fundus origineller Ideen, authentisch und liebenswürdig. Die vielen, die ihn gekannt haben, werden ihn nie vergessen.
Andreas Simmen, ehem. Programmleiter Rotpunktverlag