»Beschäftigungsprogramm für Grün Stadt Zürich«

Ursula Bauer in Zu Fuß / 20. March 2023
»Beschäftigungsprogramm für Grün Stadt Zürich«
Leise rieselt der Holderbach, mächtig donnert’s im Zürcher Gemeinderat, und die Zeit steht still im Hänsiried.

Von Zürich Hauptbahnhof Tram 11 bis Bucheggplatz, Bus 46 bis Hönggerberg – Holunderbach – Unteraffoltern – Überdeckung Autobahn – Hänsiried – Ruine Alt Regensberg – Gut Katzensee – Oberer Ebnet – Kirche Affoltern – Bahnhof Affoltern. Ca. 3 Stunden 
LK 1091 Zürich 1:25 000 und LK 1071 Bülach. App Schweiz Mobil

Als stinkende Dreckschleudern einst unter den Boden verbannt, feiern sie fröhlich Auferstehung, Bäche, Waldbäche, Stadtbäche, Wiesenbäche, gehegte und gepflegte Sympathieträger einer grünen Politik.
In allen drei Varianten spielt der Holderbach mit. Er fließt vom Hönggerberg durch ein Waldtobel hinunter nach Affoltern, im Siedlungsgebiet wurde er sorgfältig wieder ans Licht geholt, und als Wiesenbach wird er schließlich gen Seebach entlassen. 
Der Hönggerberg (Bushaltestelle) ist ein breiter, sanfter Hügelrücken, auf dem die Science City Zürichs unverdrossen in die Länge und in die Breite wächst. Die beachten wir heute nicht weiter, queren auf einer Passerelle die Straße und spazieren zum Wald hinüber. Ein Traktor brummelt über ein Ackerfeld. Es riecht nach feuchter Erde.
 
Das Waldlabor, ein Versuchswald der ETH (Infotafel) und ein paar Schritte weiter die Sri-Chinmoy-Friedensmeile lassen wir in Frieden links liegen. Ein schmaler Weg führt in den Wald hinein, bald stoßen wir auf einen kleinen Bach, der wenig später auf den Holderbach trifft. Beim Waldhüsli wird das Gewässer in einer respektablen Runse ins Tobel geleitet. Eine Waldstraße (gelbe Markierungen) zieht am Hang das Tobel entlang nach Oberaffoltern hinaus. Der Holderbach selber gibt sich eine Weile als zugänglicher, verspielter Kumpel. Bis er sich in den engen waldigen Tobelausgang drückt. Und mit Schutzmaßnahmen gegen Hochwasser an die Kandare genommen wird, für alle Fälle. 
 
Der Bach verschwindet unter dem Zehntenhausplatz. Wir auch. Und finden ihn als dekoratives Bächlein wieder – an der Zehntenhausstrasse neuen Wohnblöcken entlangschwänzelnd. 
Auch nach dem Bahnübergang beim Bahnhof Affoltern (Achtung, gute Brötli im Migrolino fürs Picknick) finden wir uns wieder, zwischen Schallschluckwänden der Bahnlinie und ausgedehntem Genossenschaftswohnen. »Bach« ist für das magere Wässerlein ein großes Wort. Wir biegen mit ihm scharf rechts ab (Nettie-Sutro-Strasse). Auf einmal wieder putzmunter, fließt er zwischen Weiden in einem richtigen Bachbett nach Unteraffoltern hinunter. Dort verlieren wir ihn. Denn da, wo »Bach« als Wegname steht, ist kein Bach mehr. Dafür findet sich bald eine veritable Dorfbeiz, die Wirtschaft Unter Dorf, mit Garten und Veloständern. 
Wir folgen kurz der Katzenseestrasse nach rechts, biegen an der Kreuzung scharf links ab und gelangen in eine eher exotische Ecke, Gemüsegärten, ein paar Palmen und ein Damm vor der Nase. Der Holderbach zeigt sich nochmal. Fast lautlos fließt er durch die Wiesen davon gen Seebach.
 
Wir erklimmen besagten Damm und kriegen es mit einem weit dominanteren Fluss zu tun, dem Verkehrsfluss der Nordumfahrung Zürich. Im August 2011 sagte der Gemeinderat Ja zu einer 580 Meter langen Autobahnüberdeckung beim Chatzensee, einzig die SVP war dagegen. 
 
Roland Scheck, Zürcher SVP-Schwergewicht, sah rot (und dunkelgrün) und holte im Zürcher Boten zu einer Philippika aus. »Der Schluss liegt also nahe, dass die rot-grünen Ideologen im Stadtrat mit der horrenden Summe von 130 Millionen Franken einmal mehr das planetarische Ökosystem retten wollen« oder – ein paar Zeilen weiter – »der Grün Stadt Zürich ein aus der Bundeskasse finanziertes Beschäftigungsprogramm zugeschanzt wird.« Weder der Lärmschutz noch das Wohl der Anwohner seien der Stadtregierung wichtig, einzig, »diesen Autobahndeckel mit üppiger Fauna und Flora auszustatten, auch mit der Ansiedlung von Igeln, Füchsen, Tagfaltern und Käfern«. Zum Schluss empfahl er seinen Kollegen und Kolleginnen im Ratsgremium, »sich inskünftig etwas substanzieller mit Gemeinderatsgeschäften zu befassen«. – Haben sie, Herr Scheck, haben sie, substanziell wie selten.
 
Ehrlich gesagt ist von der überbordenden Fauna und Flora noch nicht viel zu sehen. Dafür vieles andere, Wald, Riedwiesen, weites Land. Und sechsspurig fließt der Straßenverkehr (wenn er den fließt) in die Überdachung unter uns. Ein Grollen, das plötzlich verstummt. 
 
Im Lärmschatten wandern wir den Damm entlang westwärts. Dahinter reiht sich eine neue Wohnsiedlung an die nächste. 27 000 Einwohner hat Affoltern heute. 2035 sollen es 31 000 sein.
 
Die 580 Meter grünes Dach sind abgeschritten. Über vergammelten Sonnenblumenfeldern liegt noch der dunkelbraune Wintertrübsinn. Und vorne staut sich (wie an weiteren 344 Tagen im Jahr) der Verkehrsfluss vor dem Gubristtunnel, wo in einem Knäuel von Zu- und Ausfahrten und der Eisenbahn das organisierte Chaos jeden Morgen und jeden Abend zelebriert wird.
 
Ein wenigstens fürs Auge beschaulicher Spazierweg (Wegweiser Regensdorf) verläuft den sonnigen Waldrand entlang zum Chatzensee hinunter. Der Verkehrslärm wird leiser. Beim Waldgasthof Katzensee, einem umtriebigen Ausflugslokal mit großer Gartenwirtschaft, Modelleisenbahn, Kinderspielplatz und Parkplatz kommen wir an die Straße, die pfeilgerade durch Ried und Moor gen Regensdorf führt.
 
Jenseits der Straße liegt das Hänsiried. »Umzingelt von Verkehrsinfrastrukturen und landwirtschaftlich genutzten Flächen ist das rund 13.4 ha grosse Flachmoor Hänsiried eine ökologisch wertvolle Insel inmitten der Agglomeration Zürich.« Behutsam wird der ehemalige Torfstich seit den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts in seinen ursprünglichen Zustand als Flachmoor zurückversetzt, wissenschaftlich begleitet »mit regelmässigem Monitoring« (Projektbeschreibung in der Zeitschrift der Naturforschenden Gesellschaft Zürich).
 
Ein Bijou. Noch hört man die Landstraße, sieht zwischen den Birkenstämmen Autos vorbeiflitzen. Egal, mir gefällt diese ruhige, friedliche Nische sehr, ein Ort wie aus der Zeit gefallen. Man kann ihn, den Rändern entlanggehend, umrunden. Oder einfach am Wegrand sitzen, bis einen friert oder bis das Bürli aus dem Migrolino gegessen ist. Schilfinseln, Tümpel und Wasserflächen, die blauer als blau leuchten können, silbern glitzern, manchmal in dumpfem Grau im bleichen Riedboden hocken, was die schlanken, weißen Birkenstämme dazwischen umso schöner in Szene setzt. 
 
Noch ist es still, schlägt höchstens mal ein Buchfink. Später, wenn’s zu schnattern und fiepen beginnt, haben wir hier nichts mehr verloren, bis sich im Spätherbst wieder die Stille einnistet. Jetzt, Anfang März, liegt Frühlingserwartung in der Luft. Zwischen den Buchen am Rand des Rieds schimmern violette Krokusse aus dem Buchenlaub. Und, als etwas makabre Surprise, liegt mausetot in den Krokussen ein Fuchs vor unseren Füßen. Soll noch einer sagen, »woke« Wanderseelen gingen nicht über Leichen. 
 
Beim Jägerhochsitz am Waldrand kann man einen Wiesenweg erahnen, der einen Acker entlang zu einem Gehöft führt, überragt von einem komischen Ding, einem Industriekamin wie einem Mahnfinger. Die Ruine Alt Regensberg – ein andermal vielleicht. 
 
Heute geht’s hinüber zum Gut Katzensee (Ampel und Unterführung). In einer Stunde um den See herum? Nicht noch einmal. 
 
Unterhalb des Gutshofs entlang der Straße ist ein Riedweiher in Konstruktion. Eine Infotafel erklärt das Wie und Warum – okay, das passt zum heutigen Tag. Und nach einem kurzen Straßenstück dürfen wir wieder ans Seeufer. Das Strandbad ist noch verlassen, mal abgesehen von einer Familie, die sich, tief in Winterjacken gemummelt, Würste brät. Wenig später führt ein Weg rechts den Hügel hoch, ein einzelner Baum dient als Landmarke. Noch ein Blick in die Riedlandschaft der Allmend zwischen Chatzenbach und Büsisee, dann ist’s genug der Katzen für heute.
 
Wir sind wieder auf vertrautem Terrain, lassen den Damm hinter uns und gehen die Dorfstraße hoch, Bauernhof links, geschlossene Bäckerei rechts. Immerhin, die Gartenzwergfamilie neben der Eingangstüre kriegt dauernd Nachwuchs, scheint mir. Gelbe Markierungen weisen uns den Weg hinauf zur Kirche. Und in wenigen Minuten sind wir am Bahnhof Affoltern. Oder am zentralen Zehntenhausplatz.

KOMMENTARE VERBERGEN

Noch keine Kommentare vorhanden.


KOMMENTAR SCHREIBEN

Ihre E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht. Vor der Veröffentlichung wird Ihr Kommentar von unserer Redaktion geprüft. Pflichtfelder sind mit einem * markiert.

Rotpunkt Newsletter Unser Newsletter hält Sie über das Geschehen rund um unsere Bücher und Autor:innen auf dem Laufenden.