Es grünt so grün im Säuliamt

Ursula Bauer in Zu Fuß / 24. April 2023
Es grünt so grün im Säuliamt
Der Geist, der aus der Flasche stieg

Birmensdorf Altenberg – Gruenhaldenbach – Aesch – Islisberg – Schachen – Filderen – Wüeribach – Birmensdorf, 3.30–4 Std. 
LK 1:25 000, Blatt 1091 Zürich und 1111 Albis 
 
Ich liebte das Säuliamt schon als Kind, lange bevor ich nach Zürich kam. Ich sah marzipanrosa Schweinchen über grüne Wiesen traben und appetitlich rund werden, was, hatte ich gelernt, im Herbst zu Schwinigem wurde, auf Dörrbohnen oder Sauerkraut. Liebe ging, muss ich einräumen, bei mir schon früh auch durch den Magen. 
 
Auch ohne Schweinchen ist das Säuliamt eine Landschaft wie aus dem Bilderbuch, sanftes Hügelland, durchfurcht von unzähligen kleinen Bachtobeln. Fast vergessen könnte man, dass die Gegend auch von einem Flaschengeist aus dem letzten Jahrhundert geprägt ist – Freiheit, Fortschritt, Autobahn. Geprägt auch vom Versuch der Zauberlehrlinge, den Geist, der so mächtig aus der Flasche stieg, in kleinere Flaschen abzufüllen, Zapfen drauf und Grün drüber. 
 
Eine Frühlingswanderung, auf der man nicht zwingend ins Philosophieren kommen muss – aber kann.
 
Birmensdorf Altenberg. Ein, zwei Gehöfte mit Aussicht, eine Bushaltestelle. Hier können wir den Flaschengeist einigermaßen elegant hinter uns lassen. Auf dem Wanderweg geht’s hinunter zum Lunnerenbach. Wir überqueren ihn und schwenken, die gelben Markierungen nach links missachtend, in das waldige Tobel des Gruenhaldenbachs ein. Nach wenigen Minuten führt ein Wiesentrampelpfad nach links ans Bachufer. Eine Wasseridylle, eine, an der man viel Zeit verplempern kann, moorige Tümpel und moosüberwachsene Baumstümpfe entdecken, die Farben des Wassers studieren oder einfach nur dasitzen. Eine seichte Stelle im Bachbett, wie eine Furt, führt hinüber in einen schönen Waldpfad, der dem Bachlauf folgend langsam ansteigt. Hell schimmert Frühlingsgrün zwischen dunklen Tannen, gelbe Zitronenfalter tanzen wie vom Winde verweht vorbei, geschäftiges Zwitschern und Tirillieren aus den Büschen. Und sonst? Nichts. Stille. Frühlingswarme Ruhe und ein bisschen Bachrauschen. 
 
Der Fußweg wird zur Forststraße, die Abzweigungen nach links beachten wir nicht, und viel zu rasch ist man oben am Waldrand und auf der Ebene von Buechrüti. Ackerweite und ein einsames Gehöft an der Landstraße. Nach ein paar sonnenwarmen Gehminuten die Straße entlang sind wir beim Chüebuck, eine Waldhütte, ein Grillplatz, ein Wegkreuz. Vor uns ein beschauliches Tal, Bauernland, etwas Herdengeläut und ein Dorf, das ins Grün ausfranst. Auf dem nächsten Hügelrücken sitzt Islisberg. Keck lugt das Türmchen des Gemeindehauses übers Land. Die einladenden Wege im Hang darunter – dies für alle, die mit einer Direttissima liebäugeln – enden allesamt in saftigen Wiesen, in alten Obstgärten, in dichtem Gehölz oder als Sackgasse bei einem Bauernhof.
 
Nach Aesch geht’s am einfachsten das Sträßchen entlang. Den Verkehrskreisel im Dorfeingang zieren große, auf Stelen tanzende Marienkäfer. Die Gemeinde wirbt auf ihrer Website mit der wunderschönen, ruhigen Lage in Stadtnähe. Das zeigt Wirkung, seit 1970 hat sich die Einwohnerzahl von etwa 380 auf knapp 1700 gesteigert. Neue Wohnquartiere umzingeln den alten Dorfkern, ein aufs Sorgfältigste gepflegtes Bijou. »Gott halt in Gnaden treue Wacht, in diesem Hause Tag und Nacht« steht an einem prächtigen Riegelbau geschrieben. Vom Türmlihuus, in dem sich eine Praxis für chinesische Medizin eingemietet hat, bimbelt’s, etwas blechern zwar, aber eifrig. Im Wartehäuschen der Bushaltestelle hängt ein »Lobe den Herrn, meine Seele«-Plakat neben der Anzeige für eine »Martial Arts Supershow«, und es werden mehrere Katzen vermisst. – »Das einstige Hinterland wird zunehmend Agglomeration«, so eine Studie zur A4 im Knonauer Amt, »obgleich es bemüht ist, mit Entwicklungsplänen seinen ländlichen Charakter zu erhalten.«
Die Gartenbeiz des Rössli kommt gerade recht. Und für diejenigen, die genug gewandert sind, der öV, der im Halbstundentakt Aesch mit Zürich verbindet. Für uns geht’s beim Türmlihuus über die Straße in die Brunnacherstrasse und, den gelben Markierungen folgend, kurz ein Bächlein entlang, dann über ziemlich viele Treppenstufen den Hang durchs Villenquartier hoch, in einer Schlaufe an den Pferdestallungen des Haldenhofs vorbei und als willkommenes Dessert im Wald neben Bachrunsen auf die Hügelkuppe von Islisberg.
 
Mensch, eine Weitsicht haben die da oben. Nichts als Grün, von den Voralpen bis zur Rauchfahne von Leibstadt – oder ist’s Gösgen? – am Jurarand. Die Einwohnerzahl von Islisberg hat in den letzten Jahren markant zugenommen, und mehr als die Hälfte der Zuzüger pendelt zur Arbeit nach Zürich. Der öV ist ausgedünnt, Beiz hat’s keine mehr, »Schöner Wohnen« reicht. Den Dorfrundgang kann man sich sparen. Interessant ist das, was man nicht sieht, was unter dem Hügel liegt, der Islisbergtunnel, der rettende Kompromiss im Kampf um die N4 (heute A4). 
 
Zwischen einer größeren Baugrube und einer Scheune (gelbe Markierung) geht’s hinaus in die Felder und abwärts, den Hirschenbach entlang, der sich ziemlich schwertut, ein richtiger Bach in einem richtigen Tobel zu werden. 
 
Der Schachen, die Ebene zwischen Bonstetten und Wettswil, – den die N4 zerschnitten hätte – wird von drei Wasserläufen durchzogen. Wir einigen uns auf den Fischbach, der, gesäumt von Hecken und Büschen, entlang der Dörfer durch die Ebene zieht, dem Fischbachweiher den Namen gibt (oder umgekehrt) und sich später in der Filderen kurz in Schilf und Tümpeln verliert. 
 
Nicht zu überhören ist ein zunehmend omnipräsenter Lärmteppich, der vom Waldrand oben zu kommen scheint – das Verkehrskreuz Zürich-West, fürs Auge ganz gut cachiert, aber wir haben halt auch Ohren. 
 
Die Filderen ist eine merkwürdige Landschaft, als ob sie sich in ihrer Haut noch zurechtfinden müsse. Um sie zu verstehen, müssen wir ein gutes halbes Jahrhundert zurückblättern, in die sechziger Jahre, als das Nationalstraßennetz aufgegleist wurde.1976 stand die Strecke Birmensdorf–Knonau an, ein letztes Glied in der Verbindung Zürich–Innerschweiz. Die Autobahneuphorie der sechziger Jahre hatte da schon an Glanz verloren, die Begeisterung in der Region hielt sich in engen Grenzen, der Widerstand wuchs und gipfelte im Credo »N4 – nie«. – Wem das nichts sagt, bitte googeln; die Geschichte ist lang und kurvenreich. – Es blieb beim frommen Wunsch, die Autobahn kam, Jahrzehnte später als geplant, zu einer Zeit, da Umwelt, Ökologie, Landschaftsschutz et cetera keine Fremdwörter mehr waren. Um beim Flaschengeist zu bleiben: Der Zapfen ist zwar ab, aber die Zauberlehrlinge sind auch nicht untätig. 
 
Die Filderen sei ein von Grund auf neu geschaffenes und gestaltetes überkommunales Naturschutzgebiet. Ein Naturschwerpunkt der Region, voilà. Der Munihügel ist multifunktional, Lärmschutzwall und Sichtblende und Schlackendeponie des ehemaligen Gaswerkes Schlieren, aufgeschüttet mit Aushubmaterial aus den Tunneln der A4. Der Weg schlauft ausholend um eine Senke unter dem Hügel (eine sanierte Ölerdendeponie) und ist neckischerweise asphaltiert, die Biker dürfen auch was von der frisch kreierten Natur haben. Und ja, die Kiebitze sind auch dieses Jahr gekommen; ich habe sie gesehen. 
Wir gehen links auf den Munihügel hoch. Der Fischbach, wieder Bach geworden, verschwindet zwischen schön gerundeten Rückhaltemauern. Hübsch, der Blick zurück. Wir steigen noch ein paar Meter an und überqueren das Tunnelportal des Uetlibergtunnels. Mit freiem Blick auf die Verzweigung Islisbergtunnel und Aeschertunnel – das Verkehrsdreieck Zürich-West, eröffnet 2009 –, für die einen Symbol einer cleveren Verkehrspolitik, für andere ein »Momentum der Beschleunigung« oder so. – Jedenfalls quillt ein blecherner Strom aufheulend aus dem Tunnelportal; wer da mitschwimmt, hat es per se eilig. Ganz besonders diejenigen, die in der beschaulichen Landschaft ihr ruhiges Zuhause haben. 
Gottlob, eine Forststraße zieht westwärts in den Wald hinein. Schnell wird es still. Jetzt sind wir auf der linken Seite des Fischbachs, der nun Wüeribach heißt. Wo die Forststraße endet, geht’s auf einem Trampelpfad weiter zum Bach hinunter und wieder in ein, zwei hübsche Oasen am Wasser. Es wird Abend, und die Sänger unter der Vogelgemeinde tun wieder Dienst. Schön, die Gedanken sind frei. Bis wir auf das asphaltierte Sträßchen auf der rechten Bachseite wechseln müssen, das wenig später in die gut befahrene Landstraße einmündet. Die führt ins Dorfzentrum von Birmensdorf. Dort treffen wir wieder auf den Wüeribach. Auf dem Bachweg folgen wir ihm bis ins Zentrum – Coop, Migros, Bushaltestelle mit zwei Linien bis Zürich Wiedikon. Oder noch ein paar Hundert Schritte weiter den Bach entlang, bis von rechts die Reppisch als gemütlicher Quartierbach geplätschert kommt und den Wüeribach mitnimmt ins untere Reppischtal und in die Limmat.
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