Vom Sankt Wendelin und warum er ein sehr beschäftigter Heiliger ist

Ursula Bauer in Zu Fuß / 07. September 2022
Vom Sankt Wendelin und warum er ein sehr beschäftigter Heiliger ist
Willerzell – Rickental – (Rindereggli) – Grueb – Stöcklichrüz – Vogelherd – Brandegg – Langrüti oder Egg. Ca. 3.30 Std.
LK 1:25 000, 1132 Einsiedeln
Willerzell: Hotel Schlüssel (Zimmer)
 
In der Ostflanke des Sihlsees tropft und rauscht es aus unzähligen Runzeln und Furchen waldiger Hänge. Dimmerbach, Lattbach, Spradeneggbach, Chlosterweidbach, Sulzelbach oder »I de Bäche«, die Auswahl ist groß. Heute heißt das Programm Rickentalbach, Fischbach, Chnüwegbach, Brandeggbach.

Und, ach ja, im September ist Jagdzeit, was allerdings nichts mit den Bächen zu tun hat, höchstens mit den Nerven der Wandernden.

In Willerzell stehen sich Kirche und Gasthof gegenüber; der Weg von der einen Labung zur andern ist kurz. Ein gelber Wegweiser schickt uns erst mal auf die Straße Richtung Sattelegg. Firstanimal.ch wirbt für einheimisches, rein natürliches Tierfutter, ein Biobauernhof wehrt sich gegen neue Regeln in der Massentierhaltung. Ja, wenn alle Hühner so glücklich im Gras um den großen Stall herumwackeln dürften wie hier, könnte man auf die anstehende Abstimmung ums Tierwohl leichten Herzens verzichten. Eier und Suppenhühner gibt’s im Hofladen.

Bei einem verwitterten Wegkreuz mit Holzbank stößt man auf den Rickentalbach, der sauber kanalisiert durchs Dorf in den Sihlsee fließt. Wir folgen ihm, auf einem Gehweg die Straße entlang taleinwärts. Die Flachdachwohnblöcke bleiben zurück, wie hingestreut liegen kleine Bauernhöfe in den Wiesen. In einer Talenge biegen wir links ab und queren den Bach. Unterhalb der Brücke sprudelt das Wasser über helle Steine ins grün verhangene Bachbett. Oberhalb der Brücke zeigt ein schlammiges Rückhaltebecken, dass mit dem kleinen Wasser nicht zu spaßen ist.

Der Wanderweg, zunächst noch ein Sträßchen, zieht auf der (orografisch) rechten Bachseite bald einen Weidehang entlang zur St.-Wendelin-Kapelle hinüber. Von vier großen Ahornbäumen beschützt steht sie auf einer Wiesenkuppe. Ein hübscher Ausguck über einer Bilderbuchlandschaft. Im Westen blinkt ein Stücklein Sihlsee herauf. Dieser Außenposten muss dem St. Wendelin gefallen. Er, ein Bischof irisch-schottischer Herkunft aus dem 6. Jahrhundert, ist im Heiligenhimmel zuständig für Landwirtschaft, Herden und Hirten; neuerdings hat man ihm auch noch das Ressort Natur- und Umweltschutz übertragen.

Eine Wegspur führt durch Kuhweiden hinunter zum Bach. Hier mündet der Mieseggbach, der von der Sattelegg herunterkommt, in den Rickentalbach. Unser Bach heißt jetzt Fischbach. Er schlängelt in einer dichten grünen Halskrause zwischen den Wiesenhängen daher. Ein großer Balkenbogen mit weißem Kuhkopfskelett signalisiert einen Hauch Wildwest. Fischbach Farm nennt sich das überraschend mächtige Stallgebäude vor dem Wald. Aus einer steilen Flanke fließt der Bestgrasbach zu. Das Zuwenig an Wasser ist hier nicht das Problem, eher das Zuviel. An den Bachläufen zeigen sich noch die Spuren des letzten Starkregens, der die Rinnsale überlaufen ließ.

Die Schotterstraße endet in einer Wendeschlaufe. Ein Fußweg zieht weiter den Fischbach entlang den Wald hoch. Leises Wasserrauschen, noch leiser der Wind in den Baumwipfeln, eine Wohltat in diesem mastig-heißen Spätsommer. Allerdings kritzelt der Herbst schon die Buchenblätter mit erstem Gelb. 

An einem leicht nebligen, feuchten Septembertag kam ich das erste Mal hier vorbei. Die fröstelige Kühle von Wald und Bach und vielleicht auch der heilige Wendelin führten zu tiefschürfenden Überlegungen zum Alltag eines Eremiten, zu Rheuma, Hunger und anderen Plagen, die sich schwerlich mit Beten kurieren ließen. Der Gewehrlauf, der mir in einer Wegbiegung unvermittelt entgegenlugte, stoppte meine Betrachtungen sofort. Und dem Mann, der in roter Jacke und dito Käppi am Wegrand saß, kam ich auch nicht unbedingt gelegen. (Aha, wildern in der Mittagspause …) »So, machen Sie Pause?«, gab ich mich jovial. »Wir jagen«, kurz und knapp. Aber das rote Übergwändli? Er erkläre mir das gerne (du Tussi aus der Stadt). »Rehe sind farbenblind für Rot und Grün.« Im Weitergehen sann ich allfälligen Farbenblindheiten in der Jägerschaft nach. (Meine Jacke war schwarz …) Wenig später knallte es. Stille. Keine Kugel sirrte vorbei. Der Jungmann hatte recht gehabt: »Wir passen schon auf Sie auf, gute Frau.« Heute habe ich für alle Fälle eine weiße Bluse angezogen. 

Man steigt angenehm weich den Wald hoch. Die Tannen stehen stramm, Sonnenlicht lässt grüne Moospolster aufleuchten. Den Hexenring vom letzten Mal finde ich nicht mehr.

Eine Waldstraße (ein »Polenweg« aus den 1940er Jahren) zieht unter dem Rindereggli und der Gueteregg (Kapelle, Beiz Do. und Fr. geschlossen) die Bergflanke entlang zur Grueb hinüber. Die mächtigen Holzbeigen entlang der Straße und die ausgeholzten Hänge irritieren. Die Bäume, die den Grat entlang noch stehen, sehen aus, als hätten sich die sieben Plagen darüber hergemacht. Vier, fünf Biker pedalen vorbei, grüßen laut und herzlich, sagen Danke und »No e schöne Tag«. Die Verbotstafel beim Gruebhof vorne erklärt die auffällige Freundlichkeit. Es ist so ziemlich alles verboten, was Räder hat, und die Bußen sind saftig.

Der kurze Abstecher zum Stöcklichrüz lohnt sich sehr, ein unglaubliches Meer von grauen Spitzen, weißen Kuppen, von Bergen und waldigen Hügeln breitet sich aus, im Norden flankiert vom Zürichsee. Das untere Sihltal ist nur als kleine Furche auszumachen. Eine Panoramatafel ordnet, so gut es geht, das Wimmelbild.

Im kleinen Berghaus ein wenig weiter unten kriege ich nicht nur ein kühles Panaché, sondern auch Antworten. Hagel habe die Wälder die Graten entlang zerzaust. Hagel? Fünfzig Zentimeter hoch habe er gelegen? Oder doch nur dreißig? In den Details ist man sich nicht einig, im Großen aber schon – so was wie das Unwetter vom 21. Juni 2021 habe es noch nie gegeben.

Der Weg vom Vogelherd ins Chnüwegbachtobel ist für den Holzschlag zu einer breiten Schotterpiste ausgebaut worden. Aber wie früher zweigt nach ein paar Kurven, vor der Brücke, rechts ein unscheinbarer Fußweg ab (Punkt 1065). Bald wird er zu einem schönen, manchmal etwas sumpfigen Waldpfad, Reste von Pflästerungen und gut gesetzten Randsteinen zeigen, dass es ein viel genutzter Weg gewesen sein muss, ein knieschonender. Das stille Tröpfeln im Bachbett wechselt zum Plätschern, dann zum Rauschen, wie Bonsai-Palmenhaine wuchern Katzenschwanzwäldchen neben dem Weg; nur allzu rasch sind wir unten und stoßen wieder auf das Sträßchen, das wir oben bei der Brücke verlassen konnten. Der Chnüwegbach mündet jetzt in den Brandeggbach, der bei Egg vorne in die Sihl fließen wird. Am Hang sitzt der Brandegg Hof, ein Biohof, der zu Recht Interesse weckt. Unten an der Straße weidet die Herde der Hochlandrinder, momentan stehen nur gerade drei Stück herum. Wo die andern hingekommen sind, ahnt man bei einem Blick auf die informative Webseite.

Schade, dass es beim Güetli, wo sich die Straße Richtung Egg oder Langrüti gabelt, keine Busstation gibt. Ob links oder rechts, ein paar lange Minuten die Landstraße entlang sind unvermeidlich. Und – was eventuell mehr schmerzt – nein, eine Beiz gibt’s hier nicht.
 
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