3½–4 Std., LK 1152 Ibergeregg, 1:25'000
Oben im Alptal, beim Gasthaus Brunni (Postautohalt), beginnen wir unsere Rundwanderung. Und spazieren die erste halbe Stunde auf einem lauschigen Weg dem jungen Alpbach entlang talauswärts bis Malosen (Postautohalt). Hier quert der Pilgerweg von Einsiedeln nach Schwyz die Straße. »Wege der Jakobspilger«, »Via Jacobi« oder auch einfach »Le Chemin«. Wo Nachfrage, da Angebot und umgekehrt. »Iron Bike Race«, noch eine Variante. »Jerusalem Way« gefällt uns am besten.
Die ersten etwa zweihundert Höhenmeter sind sportlich. Eine steile Schotterpiste zieht ohne viele Kurven hoch. Es ist heiß. Ein paar große Rucksäcke mit der Jakobsmuschel, rote Gesichter darunter – Pilgern kann hart sein. Und bis Jerusalem ist es noch weit.
»Knüppelstieg, böses Augurium, dass uns noch ein starker Stieg bevorstehe. Nebel. Wüste Schlucht und Gießbach.« Gar so grässlich, verehrter Dichterfürst, ist es nicht mehr. Aber dass mit Sturzbächen auch heute nicht zu spaßen ist, das stimmt und zeigt sich bald. Wir queren ein unschuldiges Wässerlein zwischen eindrücklichen Schuttbergen. Bald haben wir einen alten Saumweg unter den Füßen, der gar so alt nicht ist; er wurde in den 1940er Jahren von arbeitslosen Soldaten erstellt. Der Waldschatten bleibt zurück. In einer Wegkapelle trotzt eine grazile Madonna den Jahrhunderten, gut geschützt hinter geschmiedetem Eisengitter, mit Schlitz für die kleine Spende. Ein Gruebi, die klassische Schutzhütte an den alten Wegen, lädt samt Panorama zum Verschnaufen ein. Unsere Rundwanderung ist gut auszumachen, sie führt unter den Mythen hinüber auf die Holzegg und das im dichten Wald versteckte Zwäckentobel hinunter ins Alptal. Die weite Sicht lässt Wanderherzen höher schlagen. »Mein Herz schlägt für Tanznacht40«, hält ein Aufkleber bei der nahen Alphütte dagegen. Wenig später mündet der Weg in ein Sträßchen. Nochmals ein Bachtobel, ein unschuldiges Bächlein, ein Trax steht darin, aufgebockt im Schutt.
Die Haggenegg liegt in weitläufigen Heuwiesen. Es riecht nach Sommer. »Man sieht nun rechts das große Gebirge, das unter dem Namen die Schwitzer Hoken bekannt ist, welches wir denn auch unter großen Schweißtropfen überklettern mussten.« Ludwig Geist, Goethes Sekretär auf der dritten Schweizreise 1797, hat im stockdicken Nebel die mächtigen Flühe ob dem Passsattel der Haggenegg nicht gesehen. Hätte er, der Gipfelsturm wäre eventuell etwas zurückhaltender kommentiert worden. »Wir erstiegen die Spitze glücklich und kehrten in einem Wirtshaus, das sich auf diesem Gipfel befindet, ein, tranken auf diese heftige Bewegung einen guten Becher Wein.« Etwas weniger beschwingt war der Dienstherr unterwegs, wie wir bereits wissen. Amt und Würden haben ihre Spuren hinterlassen, massig und schwer ist der 48-jährige (eben geadelte) Geheime Rat von Goethe geworden. 25 Jahre ist es her, dass der Shootingstar im deutschen Literatenhimmel hier notierte: »Müd und munter vom Berg abspringen, voll Durst und Lachens, gejauchzet bis zwölf.«
Der »Schwytzer Hoken« ist heute eine vielgliedrige Wegspinne. Mit allem, was dazu gehört. Voll besetzte Parkplätze, Wanderer aller Couleur, ein geranienverziertes Gasthaus mit sonniger Terrasse und fantastische Aussicht (Menu: Rahmschnitzel mit Nudeln). Nicht Speisekarten hängen aus, sondern Adressen und Infos zu Arztpraxen, kostenlosem WLAN, Schuhreparaturen, Kirchen, Pilgerunterkünften.
Von geradezu protestantischer Zurückhaltung ist die kleine Passkapelle, die seit 2010 eine ziemlich ramponierte Vorgängerin ersetzt. Weiß getüncht, ein paar Kerzen, ein altes Steinkreuz mit Inschrift (nein, nichts »Arabisches«, gotisch, sagt Wiki). In der Fensternische der rege benutzte Stempel fürs Pilgerfahrtenbuch.
Dem Pass vorgelagert sitzt die Alpkäserei Gummen. Eine Idylle mit Schweizer Fahne und Kühen mit schön geschwungenen Hörnern. Im Schatten ihres Sonnendachs schnarchen wohl zwei Dutzend Alpschweine Bauch an Bauch vor sich hin; sie wissen gottlob nicht, dass wir sie halt zum Fressen gern haben.
Hellgraue Nebel spielen um die Spitzen von Haggenspitzli und Chli Mythen mit einer Handvoll Deltaseglern. Durch eine samtgrüne weite Mulde, am Hang begrenzt vom weißen Band einer Lesesteinmauer, geht’s hinunter in den Bergwald. In leichtem Auf und Ab schlängelt sich der Bergweg um Tannen und Felsbrocken, Farn und Moos zur Alp Zwüschetmythen hinüber. Eine kleine Alp, eingeklemmt zwischen den Flühen. Schneereste liegen noch in den schattigen Runsen. Die Holzbänke der Alpwirtschaft sind gut besetzt, ein Radio dudelt.
Zur Holzegg hinüber ist der Weg breit und steinig. Ein Rudel Gämsen stöckelt in Rufdistanz im hohen Gras herum. Ab und zu hebt sich ein Kopf, an Grasbüscheln, die nicht recht ins Maul passen wollen, mampfend. Das Interesse ist nicht gegenseitig. Im Jagdbanngebiet der Mythen scheint es keine Gämse zu kümmern, wer oder was ihr beim Äsen zuschaut. »Wenn die da unten sind, gibt’s morgen Regen«, unkt einer beim Vorbeigehen. Falsch, es wird schon zwei Stunden später regnen.
Auch das Gasthaus auf der Holzegg punktet mit einer Sonnenterrasse mit Aussicht. Pause, schon wieder. Beine strecken und gucken, wer den steilen Zickzackweg auf den Gross Mythen hoch- und runterkrabbelt – um die vierzigtausend seien es im Jahr, meint Schwyz Tourismus.
Auf der Müsliegg (Wegweiser) schwenken wir ins Zwäckentobel ab. Das Sträßchen führt am kleinen Skilift vorbei in den Wald. In der ersten Kurve wechseln wir auf einen weiß-rot markierten Bergweg. Es rieselt und rinnt und schmatzt unter den Schuhen. Orchis und Enziane, Ankebälleli und Margeriten, bunt ist die Blumenpracht der sommerlichen Moorwiesen. Ab und zu verstärken Holzbohlen und Bretter den Pfad. Weiter unten, nach einer etwas ruppigen Passage im Bergwald, wird das leise Gluckern zum Rauschen, zum Bach. Die Alp. Sie gibt dem Tal den Namen. Mit ihr sind wir am Morgen losgezogen, mit ihr kommen wir zurück zum Gasthaus Brunni.
Das hat gute Gründe. Den ganzen Tag schon sind sie durch unsere Gedanken geschwänzelt, die Forellen. Nun ist fertig geschwänzelt. Prächtig goldbraun die Fische, auf einem Stövchen warm gehalten die Nussbutter. Zeitlos das Ambiente, die weißen Tischtücher und gestärkten Servietten. Auch wir trinken nach »heftiger Bewegung« gerne etwas Gutes. Und überlassen das letzte Wort einer Hiesigen, der Kellerei des Klosters Einsiedeln. »Sag an, wo ist dein Vaterland / Ist’s Limmatthal, der Rhone Strand? / Verzeiht Ihr Welschen und Ihr Deutschen / Ich bin von hier, ein Schwyzer ›ab der Leutschen‹«. Die Kirche bleibt im Dorf.
So ein charmanter Wandervorschlag! Macht mir grosse Freude - werde nachschauen auf "Karten CH", ob er sich eignet für erste Wanderversuche - sitze nach Fuss-OP vor einer Woche in kühler Wohnung, kann es kaum erwarten, wieder mal in Wanderschuhen loszuziehen, gestern war es schon die Treppe in 3. Stock...( im Verbandsschuh)
Ein schoener Text, eine wunderbare Sprache, die Topografie wird lesbar, erholsam und intressant.
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