Plötzlich war man auf sich zurückgeworfen. »Bleiben Sie zu Hause. Bitte. Alle«, schrie es einem, wo man stand und wo man ging, in dicken Lettern entgegen. Corona 2020. Der Stillstand war dehnbar, zeigte sich nach der ersten Schreckstarre. Es war die Zeit der kleinen Fluchten. Mich führten sie an Zürichs Flüsse, an die Limmat, an die Sihl.
Die langweilige Limmat in ihrem Streckbett, gerade recht für sonntägliche Katerspaziergänge, wurde zu einem spannenden Ausflug in die Geschichte. Der Flickenteppich von Autobahnen, Schlafstädten, Industriebrachen und Flusskraftwerken ist ein Flickenteppich, auf dem der grünen Flicken in den letzten Jahren merklich mehr geworden sind. Renaturierung ist das Wort der Stunde. Hip und treffend nennt sich das Ganze »Agglopark Limmattal«. Ein Name, der hält, was er verspricht. Schönheit liegt (auch) im Auge des Betrachters.
Die Sihl ist eine andere Welt. Die Sihl ist ungestüm, auch wenn man sie im unteren Teil ordentlich domestiziert hat. Oben, in der Baumkrone, in engen Tobeln und feuchten Moorwiesen sammeln sich Rinnsale zu Bächen und fließen im Sihlsee zusammen. Dunkel sind die Wälder, die Tannen streben kerzengerade dem Licht entgegen. Holz, viel Holz wurde einst auf der Sihl nach Zürich hinuntergeflößt, bevor die Wasserkraft übernahm und der Sihlsee die Hochebene flutete.
Bald erweiterte ich das Programm, dachte mir die Limmat als Stamm mit ein paar Seitenästen und die Sihl mit ihren Verästelungen im Ybrig als Baumkrone. Diesen Ästen, möglichst allen, nachzugehen, wurde mein roter Faden im ersten Corona-Wanderjahr. Ein hehrer Vorsatz, ein aussichtsloses Unterfangen. Um beim Baum zu bleiben: Die Seitenäste haben Seitenästchen. Eine Geschichte ohne Ende, sehr schön.
Für einmal ist nicht das schönste Panorama (das darf natürlich dabei sein) das erste Kriterium, sondern der Fluss, der Bachlauf. Mal lässt sich gemütlich dem Wasser entlangschlendern, mal geht’s von Tobel zu Tobel; manchmal von Biotop zu Biotop, sorgfältig gebauten Luftlöchern für die Bäche, die man vor Jahren unter den Boden verbannt hat.
An Zürichs Wassern kann man das ganze Jahr wandern. An der Limmat kann es, wenn das Wasser den klarblauen Winterhimmel spiegelt, auch bei Kälte sehr schön sein. Frühlingsgrün steht den kleinen Bächen, ob Chrebsbach, Fischbach oder Schäflibach, gut. Im Alpsommer ist es an der Minster oder am Chäswaldbach angenehm kühl, im Herbst leuchten die Riedlandschaften und Moore bei Rothenthurm oder auf der Schwantenau goldbraun. Und wenn einen der graue November aufs Gemüt schlägt, ist Wandern entlang der Stadt-Sihl keine schlechte Idee.
Meine Zeitangaben sind ungefähre. Zum einen, weil die Wanderzeiten auf den Wegweisern häufig vermerkt sind, und zum andern, weil Wasser das Gemüt befriedet und die Beine entschleunigt.
Noch keine Kommentare vorhanden.
KOMMENTAR SCHREIBEN
Ihre E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht. Vor der Veröffentlichung wird Ihr Kommentar von unserer Redaktion geprüft. Pflichtfelder sind mit einem * markiert.